Heimat und Jugend Andreas Hofers

Von Meran, der ältesten Hauptstadt Tirols, zweigt gegen Norden das Passeiertal ab, aller Welt bekannt als Heimat des Oberkommandanten von Tirol im Befreiungsjahr 1809. Eineinhalb Kilometer vor dem Hauptort St. Leonhard liegt der stattliche Sandhof (der sich genau genommen, siehe Wirtshausschild, Gasthof Krone nennt, die Geburtsstätte Andreas Hofers. Der Name des Hofes rührt wohl von seiner Lage hart am linken Ufer der rauschenden Passeier, die als Gebirgsfluss Geröll und Sand in der nächsten Nähe des Hofes ablagert, der seit alter Zeit als Herberge und Gaststätte am viel begangenen Jaufenweg dient. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts kam der Sandhof, der im Mittelalter den Herren von Passeyer und später denen von Fuchs zu eigen war, in den Besitz der Familie Hofer. Der Urgroßvater unseres Helden, Johann Hofer, der vom Weiler Magfeld bei Platt im hinteren Passeier stammte, erwarb den Sandhof im Jahre 1664 und vererbte ihn seinem Sohn, Kaspar Hofer, der 1698 die heute noch bestehende alte Kapelle zur schmerzhaften Muttergottes oberhalb des Sandwirtes erbauen ließ. Kaspars Sohn, Johann Hofer, lebte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Wirt am Sandhof, sein Sohn Josef Hofer (geboren am 12. März 1723) war der Vater Andreas Hofers, der um die Mitternachtsstunde des 22. November 1767 das Licht der Welt erblickte. Die Hebamme Maria Henlin sah, wie man erzählt, in der Geburtsnacht oberhalb der Platterspitze einen eigenartig geformten glänzenden Stern, einen Kometen in Gestalt eines Säbels oder eines Jagdgewehres, der als geheimnisvolles Himmelszeichen über dem Sandhof leuchtete und Laufbahn und Schicksal des neuen Erdenbürgers anzudeuten schien. Andreas Hofers Mutter, Maria Hofer geborene Aigentler, war als Tochter des Bürgers und Metzgers Josef Aigentler in Matrei am Brenner am 24. März 1723 geboren worden. Sie wurde dem Sandwirt Josef Hofer am 9. September 1755 in St. Leonhard angetraut und schenkte ihrem Mann nach drei Mädchen als jüngsten und einzigen männlichen Spross unseren Andreas, der aber schon als dreijähriger Knabe die liebevoll treusorgende Mutter verlor. Sie starb am 22. Dezember 1770. Durch seine Mutter gehörte Andreas Hofer, der gebürtige Südtiroler, auch dem nördlichen Teil seiner Heimat an, sodass in dem Befreier Tirols die besten Volkselemente beider Landeshälften verkörpert waren. Das Geburtshaus der Mutter nächst dem Rathaus in Matrei am Brenner schmückt heute eine Gedenktafel. Aus der führen Jugend Andreas Hofers ist wenig bekannt. Er erhielt in Anna Frick eine Stiefmutter, die den Kindern aus erster Ehe ihres Mannes keine Zuneigung entgegenbrachte und auch das Hauswesen so schlecht verwaltete, dass in kurzer Zeit ein Vermögensverlust von 1.700 Gulden entstand. Nach dem frühen Tod des Vaters am 3. März 1774 heiratete die älteste Tochter den Johann Griner, der auf eigene Rechnung den Wirtshausbetrieb übernahm, während die Stiefmutter den landwirtschaftlichen Teil des Anwesens führte. Leider brachte auch diese Regelung keinen Erfolg, sodass sich die wirtschaftliche Lage des Sandhofes immer mehr verschlechterte. Nach dem Todes seines Vaters war der junge Andreas ausschließlich auf die Entwicklung seiner eigenen Kräfte angewiesen. Vielleicht förderte aber gerade diese Selbstständigkeit die Reife dieses jungen Menschen, der bald durch seine körperliche Erscheinung und durch seinen Charakter über seine Altersgenossen hervorragte. Als Mann von gedrungener, kraftvoller Gestalt und außergewöhnlicher Muskelstärke trat Hofer in jungen Jahren oft auf Märkten und Kirchtagen, besonders in Mals im nahen Vintschgau, als Robler auf, errang aber in seiner Bescheidenheit seine Siege nicht für sich, sondern nur zur Ehre des heimatlichen Tales. Johann Jakob Staffler, der bekannte Tiroler Topograph, hat Hofer schon als Knabe gekannt und wiederholt die öffentlichen Kraftproben des jungen Bauernwirtes bewundert. Andreas besuchte vom siebenten Lebensjahr an die erst kurze Zeit vorher von Kaiserin Maria Theresia auch in Tirol eingeführte Volksschule und erlernte im zeitüblichen Ausmaß Lesen, Schreiben und Rechnen. Dabei hat dieser Schulunterricht sicherlich schon dem jungen Hofer gute Grundlagen vermittelt. Langsam, aber mit beharrlichem Fleiß, eignete er sich die einfachsten Kenntnisse an und verarbeitete sie in seinem kernigen, gediegenen Wesen derart, dass bald die Grundzüge seiner einzigartigen Persönlichkeit mit natürlicher Führungsbegabung hervortraten, zündeten doch die bekannten Laufzettel und Aufrufe des späteren Oberkommandanten, trotz ihres formlosen Stils und ihrer krausen Rechtschreibung, durch die Schlagkraft der den Verfasser leitenden Gedanken und die trefflich geprägte, volkstümliche Ausdrucksweise im ganzen Land. Nach Beendigung seiner Schulzeit kam Hofer nach Welschtirol, um als künftiger Wirt und Händler sich die zweite Landessprache anzueignen, was für seinen späteren Einfluss auch auf die italienischen Gebiete des Landes von großem Vorteil war. Die wirtschaftliche Lage des Sandhofes machte die vorzeitige Volljährigkeitserklärung Andreas Hofers notwendig; im Alter von 22 Jahren übernahm er von seinem Schwager Griner, der als Wirt nach St. Martin übersiedelte, das väterliche Anwesen und führte es fortan selbst, wobei er dem Schankgewerbe auch einen ausgedehnten Pferde-, Wein- und Branntweinhandel anschloss. Am 21. Juli 1789 führte „Andre“, wie er selbst meist seinen Namen schrieb, die Tochter Anna des Plonerhofbesitzers Peter Ladurner aus Algund als Frau heim und fand in ihr eine treue, starkmütige Frau, die Glück, Aufstieg und Unheil mit ihrem Mann teilte. Anna Hofer, geboren am 27. Juli 1765, führte die Gast- und Hauswirtschaft Am Sand, während ihr Gatte viel auf seinen Handelsfahrten unterwegs war. Sie gebar ihrem Mann sieben Kinder, sechs Mädchen und einen Knaben Johann, sodass auch die Ehe Hofers wie die seiner Eltern mit nur einem männlichen Nachkommen gesegnet war. Die Sandwirtin glich ihrem Gatten an schlichter Einfachheit der Sitten und an tiefgläubiger Gottesfurcht. Sie trat nie aus ihrem häuslichen Pflichtenkreis und hatte auch in der Zeit, da Andre als Landesregent in der Innsbrucker Hofburg saß, den Sandhof nicht verlassen. Doch in den Tagen der Not und der Verlassenheit eilte Anna an die Seite ihres Mannes, harrte bei ihm aus in winterlicher Einsamkeit und erlebte mit Andre die bitteren Stunden der Gefangennahme. In den ersten Jahren des gemeinsamen Haushaltes mühte sich das Ehepaar Hofer, den von Andre unter ungünstigen Begleitumständen übernommenen Sandhof wieder hochzubringen; die jahrelang vernachlässigte Führung ließ sich freilich nicht so schnell wettmachen. Außerdem fehlte den beiden der eigentliche Erwerbssinn. Sie lebten einfach, ohne großen Aufwand, aber doch nach Sitte damaliger bäuerlicher Wirtsleute. Auch konnte bei dem mildtätigen Sinn, der bei der Bewirtschaftung des Sandwirtshauses herrschte, nicht zu Wohlstand führen. Immerhin ließ sich Hofers Pferde- und Weinhandel gut an, blieb aber stets von den Zeitverhältnissen abhängig. Bezeichnend für den Umfang dieses Geschäftszweiges und den Wandel der wirtschaftlichen Zustände ist die Anzahl der Saumpferde, die Hofer hielt: 1794 war der Sandwirt mit 16 Pferden einer der angesehensten Säumer des Tales. In den nächsten zwei Jahren verringerte sich die Zahl der Pferde auf 14. Im Jahr 1799 führte Hofer nur noch 7, im darauffolgenden Jahr (1800) aber wieder 13, und in den folgenden Jahren immer weniger Pferde, sodass er kurz vor der Volkserhebung nur noch mit zwei Saumtieren arbeitete. Auf seinen Handelsfahrten kam Hofer durch die Haupttäler Nord- und Südtirols, lernte Land und Leute gründlich kennen, wurde allenthalben bekannt, knüpfte überall, besonders bei seinen engeren Berufsgenossen, den Wirten und Händlern, Verbindungen an, schloss dauernde Freundschaften und gewann auf diese Art nicht nur im eigenen Tal, sondern im ganzen Land ausgebreitete Volkstümlichkeit, die Grundlage seiner späteren bedeutungsvollen Führerschaft. Bei den Tiroler Bauern vermochte sich nur einer aus ihrer Mitte, ein Mann des Volkes, wie Andreas Hofer es war, Zutrauen, Achtung und Gehorsam zu verschaffen. Selbst ein Sohn des kernigen Passeierschlages, mitten unter seinen Landsleuten aufgewachsen, kannte Hofer von Natur aus Art und Wesen seiner Tiroler, wusste mit ihnen umzugehen, fühlte und redete wie sie und hing, wie die besten aus ihnen, an der Heimat, dem Glauben und den Sitten der Väter sowie an dem angestammten Herrscherhaus mit der zähen Treue einfacher Naturen. Getragen von dem allgemeinen Vertrauen und Ansehen, stieg der schlichte Bauernwirt wie von selbst, ohne eigenes bewusstes Dazutun auf zur höchsten Stufe. Er wurde durch die Macht seiner Persönlichkeit der Führer seines Volkes im Kampf um die Freiheit Tirols. Hofers stattliche äußere Erscheinung kam seiner Wirkung ebenso zustatten wie seine lautere, grundehrliche Gesinnung und sein treuherziges Gemüt. Eine zeitgenössische Feder beschreibt Gestalt und Wesen des Sandwirtes so: „Hofer war ein schöner Mann, nur wenig über die gewöhnliche mittlere Länge hinaus, in bestem Ebenmaß zu seinen Formen, die breiter ausgingen, als es sonst im Passeier der Fall ist, mit mächtigen Schultern auf festen Knochen, gewölbter Brust und starken Waden. Er hatte ein volles, rundes, gesund gerötetes Gesicht, eine breite, kurze Nase, lebhafte braune Augen und dunkle Haare. Seine Hauptzierde war ein mächtiger, glänzend schwarzer Bart, der, die Wangen freilassend, bis auf die Brust reichte.“ Hofer soll diese unter dem Bauernvolk damals seltene Zierde infolge einer Wette getragen haben, die darauf ausging, zu erproben, ob die Sandwirtin ihrem Ander das Tragen eines Bartes erlaube. Daraufhin ließ Hofer, der bei aller Gemütlichkeit auch im eigenen Haus seinen Willen durchsetzte, den Bart zunächst ein Jahr lang zur Probe wachsen und trug ihn dann zeitlebens. Der Sandwirt kleidete sich in malerische Volkstracht mit einigen Abweichungen von den Gewohnheiten seines Heimattales. Eine grüne Jacke – die Passeier tragen sonst braune Joppen – ein roter Brustfleck, ein schwarzlederner Bauchgurt (Ranzen) mit Pfauenfederkielen, bestickt mit den Anfangsbuchstaben seines Namens (A.H.), schaflederne schwarze Kniehosen, blaue Strümpfe und weit ausgeschnittene Schuhe, ein schwarzer Seidenflor um den Hemdkragen und ein mächtiger, breitkrempiger Hut, auf der einen Seite aufgestülpt und mit einem Muttergottesbildnis sowie mit Blumen und Wildfedern geschmückt, bildeten im reifen Alter seine Kleidung. Diese seine Tracht war und blieb ein wesentlicher Bestandteil von Hofers Erscheinung. Im Gegensatz zu anderen Bauernführern vertauschte er sie weder als Kommandant noch als Landesoberhaupt mit einer militärischen oder amtlichen Uniform. Als einziges Zeichen seiner Würde trug er den ihm von Chasteler geschenkten Säbel. Trotz des tüchtigen Kerns seiner männlichen Gestalt hatte Hofers Charakter doch eine besondere, den Passeiern eigene Weichheit und Zartheit, die sich in den kleinsten Zügen seines Tuns und Lassens offenbarte. Er zeigte bei geringer Bildung doch gesunden und treffenden Mutterwitz, ein einfaches, aber meist richtiges Urteil und eine Art Bauerninstinkt, der die Dinge im ersten Angriff richtiger auffasste als der lang überlegende Geist. In freien Stunden liebte Hofer das in Tirol allgemein verbreitete Kartenspiel, welches er meisterhaft beherrschte, und das seine angeborenen Charakterzüge, Maßhaltung und gutartige Schlauheit, besonders zutage treten ließ. Ein eigenartiger Zug Hofers war seine Vorliebe für Studenten, die er im Sandhof oft gastfrei begrüßte. Auch in Meran weilte er gern in ihrer Gesellschaft. Die Musensöhne schwärmten ihrerseits für den Sandwirt. Gar manche von ihnen haben sich in jugendlicher Begeisterung am Freiheitskampf beteiligt, wie der Mediziner Josef Ennemoser, der später berühmte Arzt und Bahnbrecher des Magnetismus, der bei Sterzing an Hofers Seite focht, der Freiburger Akademiker und Held der Lienzer Klause Georg Hauger und Kajetan Sweth, der bis zur letzten Stunde Hofers Leidensgefährte blieb. Hofers Frömmigkeit, eine der grundlegenden Eigenschaften seines Wesens, wurzelte in einem gläubigen Gemüt, das alles Grübeln ausschloss und Hofer froh, duldsam und mitleidig gegenüber allen Menschen machte. Der Kirche als solches anzuhängen war ihm ein Bedürfnis. Geistliche, die in ihrem Beruf tätig waren, standen bei ihm in hohen Ehren. Die Einmischung des Klerus in weltliche Angelegenheiten fand er tadelnswert, aber selbst sein Tadel war stets von dem Hauch tiefer Ehrfurcht vor dem Priestertum durchdrungen. Wenn sich in einem Priester, z. B. in Joachim Haspinger, glühende Vaterlandsliebe mit angeborener Kampfeslust verband, so schätzte er einen solchen Streiter Gottes besonders und blieb seinem Einfluss, nicht immer zum Besten des Landes und zum eigenen Heil, zugänglich. Dass schon der junge Sandwirt das besondere Vertrauen seiner Landsleute genoss, zeigt seine Entsendung als Vertreter Passeiers zum offenen Landtag, der nach dem Regierungsantritt Kaiser Leopold II. einberufen wurde und vom 22. Juli bis zum 11. September 1790 in Innsbruck tagte: Der damals erst 23jährige Hofer nahm an den Beratungen mit seinem Landsmann, dem Neurauter Bauern Andreas Ilmer, teil und mag bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal einen Blick ins politische Leben geworfen haben. Auf diesem Landtag wurden die kirchlichen Reformen Kaiser Josef II., die das gläubige Tiroler Volk tief erregt hatten, in scharfen Reden kritisiert. Auch die alte Selbstständigkeit des Landes wurde gegenüber den zentralistischen Bestrebungen der Wiener Regierung offen verteidigt, sodass wohl schon diese Erlebnisse den Keim der künftigen Einstellung Hofers zu solchen Schicksalsfragen Tirols in der Seele des heimattreuen jungen Abgeordneten gesenkt haben. Wenige Jahre nach diesem ersten öffentlichen Auftreten führte Hofer zum ersten Mal die Waffen zum Schutz seiner Heimat. Als im August 1796 im ersten Eroberungsfeldzug Napoleons die Franzosen aus Oberitalien gegen Südtirol vorrückten, zog Hofer in den Reihen der Passeirer Schützenkompanie auf den Tonalepass, um dieses Einfallstor gegen feindlichen Einbruch zu verteidigen. Schon im nächsten Jahr, 1797, das durch den denkwürdigen Sieg bei Spinges berühmt wurde, führte Hofer, diesmal als Hauptmann, eine Kompanie von 129 Passeirern in General Laudons verschanztes Lager an der Töll bei Meran, rückte dann mit seinen Mannen über den Salten gegen Jenesien vor, nahm an den Gefechten am 29. März, am 2. und am 3. April teil, in denen die Franzosen zur Aufgabe Bozens und zum Rückzug gegen Brixen gezwungen wurden. Von einer Mitwirkung Hofers am Feldzug 1799 zur Verteidigung des Vintschgaues gegen die im zweiten Koalitionskrieg aus der Schweiz eingedrungenen Franzosen ist nichts bekannt. 1805 soll der Sandwirt mit seiner Kompanie zur Verstärkung der österreichischen Südarmee gegen Trient gezogen sein. Jedenfalls hat Hofer in reiferem Alter eifrig, wenn auch noch zurückhaltend, an dem durch die Napoleonischen Kriegswirren mitbestimmten Geschick seiner Heimat in den Jahren um die Wende des Jahrhunderts als feuriger Patriot teilgenommen.