Auf der Pfandleralm

Von Meran aus hatte der französische Befehlshaber alle Passeirer auffordern lassen, die Waffen abzuliefern, und gleichzeitig die Geistlichkeit zu sich befohlen. Nur ein einziger Priester, Magnus Prieth, der Kurat von Platten, fand den Mut, vor Baraguey zu erscheinen, der dem Tal im Falle ungestörter Ruhe volle Vergebung versprach, sich aber erbittert gegen den Klerus und besonders gegen Hofer aussprach. Erst auf die dringende Bitte Prieths und Daneys, der seinen Amtsbruder bei dem General eingeführt hatte, bot Baraguey dem Sandwirt, wenn er sich unbedingt unterwerfe und persönlich stelle, schriftlich noch einmal Gnade an. Aber Hofer blieb seinem Verhängnis verfallen. Er hatte sich am 26. November mit seiner Familie von der Kellerlahn auf den Pfandlerhof in Oberprantach, dem obersten Weiler auf dem Prantacher Berg, geflüchtet. Inzwischen wandten die besonneneren Männer im Tal, von der Notwendigkeit der Unterwerfung überzeugt, alle Mühen an, auch den Sandwirt, dessen Einfluss in Passeier noch immer groß war, auf ihre Seite zu bringen. Einer der Getreuesten Hofers, Johann Holzknecht, der Strobelwirt von St. Leonhard, einst in glücklicheren Tagen in Innsbruck des Sandwirts Finanzminister, schrieb tiefbekümmerten Herzens am 29. November folgenden für die allgemeine Stimmung im Tal bezeichnenden Brief: „Liebster Bruder Sandwürt! Mit beklemmten aufrichtigen Herzen muss ich Dir sagen; dass mir unsere gegenwärtige Lage nicht gefählt. Es scheint würklich an dem zu sein, das wir das Letzte auf der Mühe haben. Lieber Bruder; rette Dich, die Deinigen, uns, unsere Häuser, und die noch wenigen Habselikeiten von einen noch größeren Unglück da noch Zeit ist. Die Zeit ist zwar kurz, aber Deine eigene Verwendung, wenn selbe gleich geschicht, kann noch villen großen Übel zuvor kommen. Mann sicht augenscheindlich dass mann sich auf einander nicht mehr verlassen kann, der eine spricht weis, der andere schwarz; die Erfahrung hat es uns schon zum Öfteren gezeigt, dass gerade diejenigen am schlechtesten sind, die am örgsten bochen. Auf Vinschgau, Tyroll, Riffian, Schenna, mann kann wohl auch sagen Sarntall, und dergleichen Ortschaften mehr, kann man sich schwerlich verlassen, und so sind auch wir selbst untereinander. Überlege alles wohl und traue nicht gar zuviel auf Dir selbst, außer es hat Dich Gott durch einen Engel versichern lassen, dass Deine Standhaftigkeit uns zur Rettung, oder zu unseren noch größeren Unglück bestimmt sei! Verzeihe es mir, dass ich Dir so schreibe, ich meine es gewiss jederzeit aufrichtig, menschlicher weiss werden Dir sehr wenige, die rechtschaffen denken, etwas anderes rathen, wenn einer ihm diesem gegenwärtigen Augenblick recht vor Augen stellt. Vertraue Dich doch rechtschaffener Männer und Geistlichkeit, wo Du überzeigt bist, das sie vor Gott und den Menschen rechtschaffen denken und handeln. Verschmähe nicht diesse baar Zeilen, sie sind gewiss aufrichtig von Deinem bekannten Freund, der Dich jederzeit liebt, und im Schutz Gottes befihlt, und herzlichen Gruß. Johann Holzknecht, Strobelwürt.“ Aber weder diese wohlgemeinten Freundesworte noch die Vorsprache einer Abordnung von Geistlichen, die eigens zum Pfandlerhof aufstiegen, um Hofer umzustimmen, hatten Erfolg. Zutiefst wurzelte in dem unglücklichen Oberkommandanten das Misstrauen gegen alle Friedensfreunde und die mit bäuerlicher Hartnäckigkeit bis zum Äußersten gesteigerte trügerische Hoffnung auf Österreichs Hilfe. Hatte der Sandwirt doch noch am 29. November vom Pfandlerhof aus folgenden flehentlichen Hilferuf an Erzherzog Johann durch einen eigenen Boten, Christian N., gesandt: „Disser Man wirth von mir abgeordnet, um doch einmal von Jhro k. k. Hochheit Unterstützung zu ehr halten, indem ich ess mit unssere Leit nimerauss ehr halten khon. Der Iber pringer disser par Zeillen wirth mindlich das mehrere for pringen mit Name Christian N. Ihr herz bertiebttester Andrere Hofer von Passeyr, den 29. 9ber 1809.“ Als die Talgeistlichen, bei denen sich auch Prieth und Hofers Beichtvater, Frühmesser Rempp, befanden, im Pfandlerhof angekommen waren, trafen sie Hofer mit Sweth im eifrigen Rosenkranzgebet, worin er sich auch durch die Ankunft der Priester nicht stören ließ. Als die Herren ihr Anliegen vorbrachten, entgegnete ihnen Hofer mit den abweisenden Worten: „Was beschlossen ist, bleibt beschlossen, ich brauch euch alle nicht!“ Dem Kuraten Prieth rief der Sandwirt zornig zu: „Gerad Sie haben sich unterstanden, zu einem französischen General nach Meran hinauszugehen und schämen sich nicht, Gott, Religion, Land und Leute zu verraten; jetzt müssen wohl die Schafe den Hirten und nicht mehr der Hirte die Schafe suchen.“ Alles Zureden und Bitten nützte nichts, Hofer geriet immer mehr in Unwillen und jagte schließlich die ganze Abordnung aus dem Hause. Als darauf die Talgemeinden Passeiers auf Zureden der Geistlichkeit ein Unterwerfungsprotokoll unterzeichneten, zerriss Hofer, dem seine Vertrauten das Schriftstück überbracht hatten, in heftiger Aufwallung die Urkunde. Es kam noch zu einer kurzen, bewaffneten Gegenwehr bei Saltaus, die General Barbou in kürzester Frist niederschlug, worauf Baraguey die Acht über Andre Hofer verhängte und einen Preis von 1500 Gulden auf seinen Kopf setzte. Nun fühlte sich Hofer auch auf dem Pfandlerhof nicht mehr sicher. Er sandte Frau und Kinder in ein Versteck des hinteren Schneeberges und flüchtete sich am 11. Dezember mit seinem treuen „Döninger“ in die Mäderhütte auf der Pfandleralm, die in 1350 Meter Meereshöhe im sogenannten Tragwald auf den Almböden unter der Riffelspitze lag. Schon vorher hatte der Sandwirt an seinen Freund Josef Eschgfeller in Weißenbach im Sarntal um ein besseres Versteck für sich und seine Familie in den Sarner Bergen geschrieben. Eschgfeller riet Hofer, in eine Almhütte bei Obernberg zu fliehen, doch unterblieb dies infolge der hohen Schneelage im Almgebiet. Die Pfandlerhütte war im unteren Teil gemauert, im oberen aus locker übereinandergeschichteten Baumstämmen nach Art der Blockhäuser erbaut und diente eigentlich nicht zur Bewohnung, sondern nur zur Einstellung des Viehs und Aufbewahrung des Futters. Hofer und Sweth bemühten sich, diese unwirtliche Unterkunft wohnlich herzurichten. Um die winterlichen Stürme abzuwehren, wurden die Fugen zwischen den Baumstämmen mit Moos verstopft, eine armselige Feuerstelle diente als Herd, ein umgekehrter Futtertrog als Ess- und Schreibtisch, eingelagertes Heu als Schlafstätte. Eine unangenehme Überraschung für die Flüchtlinge war der Fund von zwölf Gewehren, von denen fünf geladen waren, die von unbekannten Händen in der Hütte verborgen worden waren. Besitz und Versteck von Waffen waren ja nach dem Patent des Vizekönigs mit dem Tode bedroht. In dieser dürftigen Blockhütte verbrachte Hofer im eisigen Hauch des Bergwinters die letzten Monate seines Lebens. Noch vor sechs Wochen saß der Sandwirt als Landesregent in der Kaiserlichen Burg zu Innsbruck, jetzt verbarg er sich wie ein scheues, gehetztes Wild hoch über den heimatlichen Wohnstätten in der Einsamkeit der Pfandleralm. Nur wenige der treuesten Freunde suchten die Flüchtlinge von Zeit zu Zeit auf und brachten ihnen mit der notdürftigen Nahrung auch Kunde von den Vorgängen im Tal: Hofers Schwager Josef Gufler, die Brüder Anton und Johann Wild, der starke Öttl, Andreas Ilmer, Josef Abfalter, Josef Thaler, Haslerbauer von St. Martin, und der Pfandlerbauer Hans Pfandler, dessen Knechte Hofer als Ordonanzen dienten. Außerdem unterhielt Hofer noch immer einen geheimen Botendienst, dessen Träger seinen Aufenthaltsort nicht kennen durften, sondern ihre Botschaften in einem bestimmten Haus in St. Leonhard hinterlegten oder abholten. Als eines Tages der Schweizer Rupert Markenstein, der als Schützenhauptmann im Pinzgau unter Hofer gekämpft hatte, zur Hütte aufstieg, fand er den Sandwirt, der noch die goldene Gnadenkette des Kaisers trug und dessen Bild auf der Medaille ehrfürchtig zu küssen pflegte, in gedrückter Stimmung. Hofer redete dem Hauptmann zu, möglichst rasch nach Österreich zu flüchten, und nahm unter Tränen von dem treuen Schweizer Abschied. An schönen Tagen stieg Hofer mit Sweth nach der Morgenandacht auf einen höher gelegenen Aussichtspunkt, der freie Sicht ins Tal gewährte. Kummervoll gedachte der Sandwirt seines Hauses, das durch die Ereignisse der letzten Monate dem wirtschaftlichen Zusammenbruch nahe war. Um die letzte Einnahmequelle, den Ausschank, im Sandhof nicht ganz versiegen zu lassen, mussten die Gläubiger Hofers schon damals auf eigene Rechnung Wein einkellern. Zu diesem trostlosen Ausblick in die eigene Zukunft kam die Nachricht von den letzten Zuckungen des Freiheitskampfes und ihrer Folgen für das unglückliche Land. Die Burggräfler hatten sich in der letzten Novemberwoche auf dem Salten noch einmal den Franzosen, freilich vergebens, entgegengestellt. In Brixens Umgebung hatte der unberechenbare Kolb mit dem Mahrwirt um die Monatswende den Landsturm aufgeboten; der französische General Severoli erstickte am 6. Dezember diesen Aufstand in einem Flammenmeer von 200 Gehöften und 28 Edelsitzen. Das Pustertal büßte seinen letzten Heldenkampf am schwersten. Der Bauernsturm auf Bruneck am 2. Dezember zerstob im Geschützfeuer der Franzosen, und das trotzige Aufbäumen des Iseltales forderte eine Reihe von Blutzeugen, die der Rache des Generals Broussier zum Opfer fielen. Am 9. Dezember, neun Monate nach dem ersten hellen Aufflammen, erlosch der letzte Funke des Tiroler Freiheitskampfes in Blut und Tränen. Das Unglück seiner Heimat bedrückte den flüchtigen Andre Hofer viel schwerer als die Sorge um das eigene Schicksal. Der Mann, der aus glühender Vaterlandsliebe und reinstem Wollen sein Volk zum Befreiungskampf aufgerufen hatte, der in unerhörtem Siegeslauf dreimal den übermächtigen Feind bezwang, hatte im unerschütterlichen Vertrauen auf Österreich den Kampf auch nach Friedensschluss bis zum tragischen Ende fortgesetzt. Nun lastete die ungeheure Verantwortung für alles Elend, für das vergossene Blut und den Niederbruch der letzten Kämpfe auf der Seele des Sandwirtes. Was mag in den einsamen Tagen im Inneren Hofers vorgegangen sein, ehe er sich selbst überwand und zum Sühneopfer für sein Land bereit war? Die Schlacken leidenschaftlicher Verwirrung und Verhärtung, die als Folgen der furchtbaren Ereignisse und Enttäuschungen in den letzten Wochen des Sandwirts ganzes Wesen verändert hatten, fielen nun von ihm ab. In der Einsamkeit dieser Adventwochen vollzog sich in Andre Hofer jene seelische Wandlung und Läuterung, die ihn über alle Niederungen des Kampfes und der eigenen Schuld erhob und den tragischen Helden des Jahres 1809 zur heroischen Überwindung des Lebens und der Todesfurcht befähigte. In jenen Wochen wurde ein abenteuerlicher Versuch zu Hofers Rettung unternommen, der durch unglückliche Verkettung erfolglos blieb. In den ersten Tagen seines Aufenthaltes auf der Pfandleralm erhielt der Sandwirt ein kurzes Briefchen von der Hand Martin Teimers, der seit dem Verlassen des Landes bei einer Kolonie von Tiroler Emigranten in Warasdin in Kroatien weilte. Noch immer hing das Herz Teimers an seiner Heimat, daher bemühte er sich bis in die letzten Monate des Jahres 1809, seinen Landsleuten Hilfe zu bringen, und zwar aus den sogenannten englischen Subsidien. Das von Napoleons Kontinentalsperre an seinem wirtschaftlichen Lebensnerv bedrohte England hatte größere Summen zur Unterstützung der Tiroler Freiheitskämpfe bestimmt. Teimer, der über einen Teil dieser Gelder verfügte und sie nach Tirol leiten wollte, wandte sich am 26. November von Warasdin aus mit folgendem Brief an Hofer: „Liebster Freund! Ich bitte Sie, ehemöglichst eine Nachricht zu geben, wie es in Tirol steht und wie ich meine verunglückten Landsleuten Geld mit Sicherheit zusenden kann. Es sehnt sich nach einer ungesäumten Nachricht Ihr treuer Freund Teimer, Major.“ Der Sandwirt, bei dem Martin Teimer sonst nicht in Gunst stand, schöpfte aus dem Brief neue Hoffnung. Er sandte einen seiner Getreuen, den Hauptmann Johann Wild, sogleich nach Wien zum Kaiser Franz, der dem Boten Glauben schenken solle, „als stünde Hofer selbs vor ihm“. Der Kaiser möge, so ließ ihn Hofer bitten, doch das treue Tirol und seinen Oberkommandanten nicht verlassen. Der Bote sollte außerdem das von Teimer angekündigte Geld beheben und nach Tirol überbringen. Wild kam am 28. Dezember nach Wien, wurde noch am gleichen Tag vom Kaiser empfangen und erhielt vom Herrscher eine schriftliche Bestätigung des abgeschlossenen Friedens sowie die Einladung an Hofer, nach Österreich auszuwandern. Teimer war zwar nicht in Wien, aber einer der Tiroler Boten, welche die englischen Subsidien über den Kanal gebracht hatten, Johann Georg Schenacher, folgte dem Wild 11.000 Gulden in Wechsel aus, die hauptsächlich dazu dienen sollten, die Flucht Hofers aus Tirol zu ermöglichen. Am 6. Jänner 1810 verließ Wild die Donaustadt, überschritt die Grenze zwischen Kärnten und Tirol bei Nikolsdorf und hielt sich dort heimlich bei einem Freund, dem Gastwirt Grebitschitscher, zu kurzer Rast auf. Da wurde plötzlich Wilds Spur von den Franzosen entdeckt, sodass er sich nicht mehr aus seinem Versteck hervorwagte. Um aber seine wichtige Mission nicht zu versäumen, übergab Wild einem Fuhrknecht des Wirtes das kaiserliche Schreiben und einen Brief an Hofer nebst den Wechseln über die 11.000 Gulden, die bei Bozner Handelsfirmen gegen Bargeld eingelöst hätten werden sollen. In seinem Brief an Hofer schrieb Wild u. a. „Böster Freund! Ich muss Dir sagen, das Du den Grebitschitscher alles folgend thuest. Dieser wirt Dich sicher heraus liefern. Habe nur kein Bedenken. Von Störzing fort wirt er Dich sicher nach Klagenfurth bringen, er löbet und stirbt für Dich und getraue keinen anderen Menschen nicht. Der Kaiser winschet Dich balth wie inder (je eher) wie lieber heraus zu söchen, den es liegt fill daran. Ich werde Dir alles mindlich sagen, weil nicht möglich zu vill zu schreiben. Glaube diesen Iberbringer, er wirth den (Dein) Verrätter sein. Soll aber kein Mittel sein iez bey den großen Schneh, so berichte mir, wie es ist und schicke alle Ordonanzen den Freint zue.“ Während sich Wild in Nikolsdorf verborgen hielt, kam der Fuhrmann glücklich nach Bozen, erhielt aber die Wechsel, da man ihm misstraute, nicht eingelöst und kehrte ohne Geld wieder nach Nikolsdorf zurück, nachdem er die Briefe an Hofer bei Franz Wild, dem Vater des Johann, in Sterzing abgegeben hatte. Der alte Wild schickte nun sofort seinen Sohn Anton auf die Pfandleralm, wo Hofer diese Wiener Nachrichten in den letzten Tagen des Jänner in Empfang nahm. Wie tief und unzerstörbar das Vertrauen des Sandwirts auf das Haus Österreich und seine Hilfe auch noch zu dieser Zeit war, zeigt sein letzter Brief an Erzherzog Johann vom 26. Jänner, zugleich ein erschütterndes Bild des tragischen Zwiespalts in der Seele Andre Hofers, der sich im folgenden Brief als „armer verlassener Sünder“ unterzeichnet: „Mein Herz, welches stets zu Sr. k. k. Hochheit (den das ganze Tirol ihren Vater nennt) das Zutraun hatte, fliehet auch izt dahin und wartet, da es onehin in Meer der Taurigkeit und Trübsallen versenket ist, ob es erhöret wird oder hiesich versenken muss, allwo es izt Tage und Nächte mit banger Erwartung durchwandert. Nicht jene Traurigkeit, wegen meinen Hab und Gutverlust und meinem Weib und Kindern (welche mit mir in einem öden Stall auf der Alpe) wegen den betränkten Gemüthe und harten Joche, welches meine vielgeliebtesten Mitbrüder schwer drücket; fesselt mich, sondern die wehmütige Stimme und das immerwährende Wort: Ach! Welches Elend! machet meine Selle betrübt; die vor Linderung dieses betränkten Joches nicht fröhlich syn wird. Denn auf Haus Österreichs Zuspruch und Hoffnung ihre Heere in unserem Lande als Vertheidigungs-Mitbrüder zu zählen, sprach ich meinem Waffenbrüdern zu: >>Haus Österreich verlass uns nicht—–<< und aus diesem Grunde rufen wir im Tonner der Kanonen und kleinen Geschütz: >>Auf, auf Brüder! Und lustig! der edlen Religion und dem sanften Scepter Haus Österreich zu lieb!<< Ja selbst der Spruch feindlicher Mächte herscht in Tirol, Tiroler Tapferkeit ist die Ursach Österreichs so langer Bestandheit, und unserer Truppen Schwachheit, sie, diese Feinde wünschen Tiroler Herzen an sich zu binden; und drohen dem edlen Haus Österreich gewogene Tiroler seine Hütte über sein Haupt einzuäschern, und in seiner Güter und Lebens zu berauben; wenn er Österreich nicht vergessen will, und spricht: >>Alles für Gott und Haus Östrerreich.<< Ja wenn sich unter Tiroler Verthjeidigern einige befanden, die muthlos wurden, so sprach ich ihnen Muth zu mit den Worten: >>Bald werden wir österreichische Truppen bey uns sehen<<, und so wurde der Zaghafte wieder getröstet, grif zu den Waffen; und stritt ohne Rast. Aber nun ach leider Gott! muss ich als Lugner vor meinen Brüdern stehen zu Schanden vor allen werden, und nichts anderes wartet mir; als die Fluchreden in das kühle Grab: >>Du bist die Ursache unseres Unglücks<<, aber auch dieses wollte ich gerne ertragen, nur das strenge Gericht Gottes, wo ich Rechenschaft über meine Untergebenen werde ablegen müssen, befürchte ich, weil bey dieser feindlichen Regierung nicht allein das Zeitliche, sondern auch das Ewige verloren ist nehmlich Selle so vieler Tausenden, die durch allerhand Laster und Sünden ein Opfer des Teufels werden, und aus diesem Grunde, da ich zwar onehin nicht sicher nach Österreich kommen kann, fällt es mir schwer Tirol zu verlassen. Daher wenn Sr. k. k. Hochheit wie auch Sr. k. k. Majestät dem Kaiser von Österreich an Tirol gelegen ist, wenn sie unser Blut für Österreichs Bestandheit annehmen wollen; so bitte ich im Namen aller gutgesinnten Tiroler, uns nur eine kleine Hilfe an Truppen zu senden, und ich werde nach Kräften meiner gutgesinnten Mitbrüder in Waffen haben, und vereint mit Österreichs Heer zu streiten; den Feind zu schlagen mich, wie zuvor, bemühen. Nur bitte ich Hilfe, Hilfe! Diese Bitte auch desgleichen dem würdigsten Generallissimus Erzherzog Karl zu übersenden, und zu bitten, dass er mir einen Unbekannten verzeihe, dass ich auch ihn um Hilfe anflehe, uns Tiroller nicht zu verlassen, denn auch wir wollen Österreich nicht vergessen und alle Kräfte nach Möglichkeit zum Streiten anspannen. Desgleichen bitte ich auch unsere geliebteste Kaiserin und Mutter Tirols davon zu verständigen, dass sie uns als ihre Kinder; wie ihr Frömmigkeit onehin bekannt ist, in ihren Gebeth einschließe: Denn auch wir werden sie nicht vergessen, sonder ihr zu lieb den letzten Tropfen Blut vergießen; und sie lieben bis an das Ende wie eine Mutter ihre getreuen Kinder. Der arbme verlassne Sinder Andre Hofer“ Anton Wild verließ mit diesem Brief am 27. Jänner die Almhütte; in der folgenden Nacht wurde Andre Hofer gefangen. Als sein letzter Brief nach Wochen in die Hände des Erzherzogs kam, war das Lebensopfer des Sandwirtes schon gebracht. Am Heiligen Abend erschien unvermutet die Sandwirtin mit ihrem 15-jährigen Sohn Hans in der Pfandlerhütte. Das Versteck der Familie am Schneeberg war den Franzosen bekannt geworden, nur niedergehende Lawinen hatten die Häscher aufgehalten. Nun flüchtete Anna, nachdem sie ihre vier Töchter bei einem Freund in St. Martin gut untergebracht hatte, mit ihrem Sohn hinauf in die winterliche Hochalm, um bei ihrem Mann Schutz zu suchen und ihm zur Seite zu stehen. So sehr das Beisammensein mit Weib und Kind in dieser traurigen Weihnachtszeit dem Sandwirt ein Herzenstrost war, so erhöhte die neue Einquartierung doch auch die Gefahr der Entdeckung. Hofer teilte mit seiner Frau den unteren Raum der Hütte, während Sweth mit dem jungen Hofer auf dem Heuboden schlief. So schloss das Jahr 1809 für Andre Hofer. Schon die ersten Tage des Jahres führten ihm den Vollstrecker seines Schicksals zu. Am 2. Jänner des neuen Jahres erhielt der Sandwirt einen unwillkommenen Besuch: Der Nachbar des Pfandlerhofes, der 35-jährige Gruebhofbauer Franz Raffl, welcher eine halbe Stunde oberhalb der Pfandlerhütte einen eigenen Heuschupfen besaß, war durch den Rauch aufmerksam geworden und trat bei Hofer ein. Raffl genoss schlechten Ruf, war dem Trunk und anderen Leidenschaften ergeben und befand sich ständig in Geldnöten. Der Sandwirt, der den unheimlichen Menschen kannte, nahm ihn freundlich auf und bot ihm Geld an, damit er ihn nicht verrate. Raffl schlug die Gabe aus und versprach heuchlerisch mit Handschlag, Hofers Zufluchtsstätte geheim zu halten. Als der verdächtige Gast in seinem Schlitten zu Tal gefahren war, sah Hofer wohl ein, dass er nun in seinem Aufenthaltsort nicht mehr sicher sei, aber der tiefe Schnee, die bittere Winterkälte und die Rücksicht auf Frau, Sohn und Sweth hielten den Sandwirt in der Pfandlerhütte fest. In Raffl, dessen Geldgier der Kopfpreis von 1.500 Gulden lockte, reifte trotz seines Versprechens rasch der Entschluss zur Judastat. Am 5. Jänner kam er zum Ortsaufseher und Zivilkordonisten Peter Ilmer von St. Martin, der als Amtsperson verpflichtet war, den Behörden Nachricht über versteckte Aufrührer zu geben, und flüsterte ihm zu, er wisse jetzt den Aufenthalt Hofers; er, Raffl, könne den Sandwirt gerade hernehmen. Wenn Ilmer einverstanden sei, so könnten sie beide heimlich nach Meran, dort den Franzosen Hofers Aufenthalt anzeigen, den ausgesetzten Kopfpreis teilen und dann, ohne dass jemand etwas merkt, wieder ins Tal zurückkehren. Ilmer schreckte vor der Teilnahme an dem Verrat zurück und meinte: „Einen Menschen veraten wie den Hofer, das ist viel zu hart, denn dem geht es nicht gut, wenn ihn die Franzosen bekommen. Wir wollen jedenfalls erst die Sache bedenken. Willst du aber daran, so geh’ zuerst zum Richter in St. Leonhart und nicht gleich nach Meran, er wird dir guten Rat geben. Ich bin einmall nicht dabei.“ Raffl drohte: „Du bist aufgestellt, zu Gericht zu gehen, gehst du nicht mit, so sag ich es dem General und du magst sehen, was dir geschieht.“ Ilmer beschwor Raffl, sich die Sache noch zu überlegen und auf jeden Fall den Richter zu fragen, was Raffl auch schließlich versprach. In seiner Angst ging Ilmer, den das furchtbare Geheimnis drückte, selbst zum Richter Andreas Auer nach St. Leonhard und teilte ihm Raffls Absicht mit. Der als Amtsperson ebenfalls an seine Pflicht gebundene Richter gebot Ilmer unbedingtes Schweigen über Hofers Aufenthalt; sollte Raffl noch einmal an Ilmer herantreten, so möge er den Gruebhofer an ihn, den Richter, verweisen. Seit diesem Geschehnis verstrichen einige Wochen, und Ilmer glaubte schon aufatmen zu können, als er am 27. Jänner in der Nähe des Sandwirtshauses Raffl begegnete, der mit triumphierender Miene auf seine Brusttasche mit den Worten zeigte: „Jetzt hab ich’s wohl bei mir!“ Der Gruebhofer hatte allerdings den Richter aufgesucht, jedoch nicht, um sich einen Rat zu holen, sondern um Auer in sein teuflisches Werk zu verstricken. Raffl machte so bestimmte Angaben über Hofers Versteck, dass der Richter, um nicht selbst straffällig zu werden, ein Protokoll aufnehmen musste, das Raffl nach Meran trug und persönlich dem Platzkommandanten, General Huard, übergab. Schon in der folgenden Nacht vom 27. auf den 28. Jänner sandte der General eine Truppe von 600 Mann unter dem Befehl des Kapitäns Nenauard nach Passeier, um Andre Hofer gefangen zu nehmen. Gegen 11 Uhr nachts kamen die Soldaten nach St. Martin, von wo eine Abteilung von 100 Mann, bestehend aus französischen Soldaten und 30 italienischen Gendarmen, unter der Führung Raffls, der als Wegweiser diente, sogleich den beschwerlichen Aufstieg zur Pfandleralm begann. In Passeier hatte sich die Befürchtung, dass das Versteck Hofers verraten sei, mit Windeseile verbreitet. Einer der Freunde Hofers, der Haslerbauer Josef Thaler, eilte noch am Samstagabend hinauf zur Hütte und drängte den Sandwirt, eilends zu fliehen. Hofer konnte an Raffls Schandtat nicht glauben, sagte aber zu dem warnenden Freund: „Ja, Hafler, morgen in aller Früh wollen wir uns durchs Fartleis nach Sarntal und weiter zum Kaiser Franz begeben. Jetzt aber ist schon Nacht und in der Nacht wird uns da heroben doch nichts g’scheh’n.“ Bei dieser Gelegenheit übergab Hofer dem Hasler die goldene Ehrenkette, um sie für alle Fälle rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Der Haslerbauer verwahrte die Kette in den folgenden Jahren in einem sicheren Versteck. Erst im Jahre 1814, nachdem Tirol wieder zu Österreich gekommen war, übergab er sie der Witwe Hofers; seit 1882 befindet sich die Kette mit der Medaille als Geschenk der Witwe des Enkels Dr. Andreas von Hofer im Museum Ferdinandeum in Innsbruck (Zeughaus). Die Erste, welche in der hellen Mondnacht die den steilen Pfad heraufsteigenden Franzosen bemerkte, war die Magd des Pfandlerhofes, die gleich ihren Dienstherrn weckte, der in atemloser Hast hinauf zur Pfandlerhütte eilte, um den Freund zu warnen. Doch es war schon zu spät. Was sich in den ersten Morgenstunden des 28. Jänner 1810 auf der Pfandleralm begab, das erzählt Hofers treuer „Döninger“, Kajetan Sweth, der die Gefangennahme selbst miterlebte: „Hofer Sohn und ich begaben uns (Samstag abends) auf unser Heu und schlummerten ein. Um halb 4 Uhr früh war es, als ich erwachte und die schimmerden Sterne und den seinem Untergang nahenden Mond betrachtete. Ich hörte von Weitem in dem gefrorenen Schnee krachende Schritte, sah das Gestirn noch einmal an, bemerkte aber keinen Tagesstern, der mich hätte belehren können, dass unsere Ordonanz schon vom Gottesdienst zurückkäme. Die Tritte kamen näher und ich lugte unter dem Dach heraus und ersah Raffl mit einem französischen Soldaten der Hütte sich nähern. Der Soldat blieb fünf Schritte zurück, Raffel dagegen ging zur Hüttenwand, horchte und hörte vermutlich Hofer und seine Gattin Atem holen. Er ging zurück sprach, mit den Fingern auf die Hütte deutend, zu dem Soldaten, der Sergenant war: >>Sie sind drinnen!<< und entfloh. Während Raffl entwich, kehrte auch der Sergant einige Schritte zurück und rief: >>Avancez!<< Nun rückte die Truppe heran und umringten die Hütte. Hofers Sohn schlief noch immer, endlich nach kurzem Nachdenken weckte ich ihn, eröffnete ihm, dass wir gefangen seien, ermahnte ihm zum Beten und riet ihm, mit hinauszugehen, denn es währe zu befürchten, dass sie etwa hereinsteigen und uns umbringen möchte. Wir hatten nichts an, als Hofers Sohn sein Hemd, abgestutzte Strümpfe, sogenannte „Hösln“, und seine Jacke, ich aber Hose und Hemd nebst einem Mantel. Unsere übrigen Kleidungsstücke hatten wir im Stall, wo Hofer und seine Gattin sich befanden. Es war ein italienisches Freikorps, welche uns gefangennahmen, doch steckten einige darunter, weche Deutsch sprachen und mich sogleich als den Adjudanten erkannten. Während man mich band, wurde ich mit derben Stößen, Schlägen und unzähligen Ohrfeigen grob misshandelt und sodann führte man mich und den Sohn vor die Hüttentür. Noch getraute sich keiner unserer Beherscher in die Hütte zu treten, sondern Hofer trat freimütig heraus, fragte, ob jemand unter den Herren Deutsch verstehe, und als ein Adjutant des Generals Baraguay d’Hillers hervortrat und ihm sagte, dass er Deutsch verstehe, so sprach Hofer: >>Sie sind gekommen, um mich gefangenzunehmen; mit mir tun Sie, was Sie wollen, denn ich bin schuldig, für mein Weib und mein Kind und diesen jungen Menschen bitte ich aber um Gnade, denn sie sind wahrhaftig ganz schuldlos!<< Wie mir, banden sie auch Hofer die Häde auf den Rücken, um den Hals einen Riemen um die Lenden einen Strick. Erst als nun Hofer auf solche Weise unwehrbar war, trat einer nach dem anderen zu ihm und raufte ihm entweder die Haare oder den Bart mit den Worten aus: >>Diese Haare will ich wohl aufbewahren und mit nach Frankreich nehmen, damit ich sagen kann, ich war bei General Barbones Gefangennehmung.<< Den Sohn und die Gattin befestigte man nur um die Lenden. Die Hütte wurde ganz ausgesucht, das Geld genommen, ebenso auch Hofers Säbel, Pistolen und die zwölf Gewehre. So endete die achte Woche unseres Fluchtaufenthaltes. Nun begann der Zug. Hofer und ich gingen voraus, Gattin und Sohn hinterdrein, und so führte man uns über das mit Schnee und Eis bedeckte steile Gebirge unweit St. Martin der Ebene zu. Kaum eine Viertelstunde von der Hütte entfernt, ließen wir, der Sohn des Hofers und ich, schon den blutigen Pfad hinter uns, denn man ließ uns keine Stiefel oder Schuhe oder sonstige Kleidungsstücke anziehen. Der edle Hofer, dessen Gesicht voll Blut und dessen Bart blutvereist war, sprach uns oft mit einem an den gestirnten Himmel gerichteten Blick zu: >>Betet, seid standhaft, leidet mit Geduld und opfert es Gott auf, dann könnt ihr auch etwas von euren Sünden abbüßen!<< So sprach er öfters, der christliche Held, der über seinen Feind nicht zürnte, sondern alles mit Geduld ertrug. Wir langten auf der Ebene bei St. Martin um 7 Uhr früh an, man brachte unsere Kleidungsstücke nach, zog mir und den jungen Hofer selbe an, band mich neuerlich und sodann ging der Zug bis nach Meran. Vor dem Tore bei Meran war schon die ganze französische Generalität nebst vielen Stabs- und Oberoffizieren bereit, uns zu bewillkommen, und so wurden wir unter triumpfierender türkischer Musik, unter Frohlocken der Franzosen, jedoch unter Tränenvergießung der edlen Meraner Bürger in Meran einbegleitet. Schatten tiefer Trauer lagen auf Passeier; des Tales bester Sohn, der Anführer des Landes im ruhmvollen Kampf, der auch im Unglück von der Heimaterde nicht lassen konnte, war durch die Habsucht eines elenden Landsmannes dem Feind ausgeliefert. Von der Stunde des Verates an fand Raffl keine Heimstätte mehr, der Fluch des ganzen Tales lag auf dem Judas, sein eigener Vater und die Geschwister wiesen ihm die Türe, sein Anwesen kam unter dem Hammer. Kein Passeirer bot dem Unseligen Obdach oder Nahrung, ja man trachtete dem Verräter, der Schande über seine Heimat und ganz Tirol gebracht hatte, nach dem Leben. So blieb Raffl nichts übrig; als den militärischen Schutz des Feindes anzuflehen und mit bairischen Truppen das Land zu verlassen. Nach eigener Aussage scheint Raffl seinen Judaslohn gar nicht gefordert und erhalten zu haben; die Bayern sahen sich jedenfalls gezwungen, den mittel- und erwerbslosen Mann zu versorgen. Am 28. August 1810 erhielt Raffl auf Befehl des Königs Max Josef eine Stelle als Straßenarbeiter in Bayern; später war er als Waagknecht in der Mauthalle zu München tätig, wurde im Jahre 1823 aus Gesundheitsrücksichten pensioniert und starb am 13. Februar 1830 zu Reichersdorf bei Ingolstadt.“ Die Mäderhütte auf der Pfandleralm, Andreas Hofers letzte Zufluchtsstätte, wurde zum Ziel unzähliger Besucher, die in der schlichten Berghütte des Tiroler Helden gedachten, der von ihrer Schwelle aus seinen Todesweg angetreten hatte. Am 13. September 1880 war die Hütte der Schauplatz einer schlichten Gedenkfeier; an diesem Tag wurde an der Wand links vom Eingang eine Marmortafel enthüllt, die das Offizierskorps des Landesschützenbataillons Nr. 2, das in Meran garnisonierte, in Verbindung mit dem Alpenvereinszweig Meran gestiftet hatte. Durch unvorsichtiges Feuermachen verursachten Hirtenkinder am 23. November 1919 einen Brand, durch den die Pfandlerhütte ein Opfer der Flammen wurde. Wiederaufgebaut als kleiner Heustadel, an dem die Gedenktafel angebracht wurde, hatte diese Hütte mit der alten nichts gemein. Erst im Gedenkjahr 1984, das unter dem Motto „Jeder auf seinem Platz ein Stück Tirol bauen“ stand, wurde die ursprüngliche Form der Hütte durch das Passeirer Schützenbataillon wieder errichtet.